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Reiselust - Touristenfrust

Fast täglich liest und hört man, dass sich viele Menschen wegen der allgemeinen Teuerung das Leben bald nicht mehr leisten können. Dazu kommen Sparmaßnahmen der Regierung, die das Portmonee flach halten und Ausgaben, mit denen man nicht gerechnet hat.

Ich habe jedoch den Eindruck, dass man die Menschen am Existenzminimum kaum sieht, obwohl es viel zu viele gibt. Es sind jene, die gegen Ende des Monats nicht wissen, wovon sie leben sollen; -die Panik bekommen, wenn plötzlich der alte Kühlschrank oder Herd kaputt gegangen ist oder jene, die ihren Kindern nicht einmal mehr die kleinsten Wünsche erfüllen können. Diese Menschen scheinen die Öffentlichkeit zu meiden, entweder um Verlockungen aus dem Weg zu gehen oder aus Scham. Dabei ist Armut keine Schande, Armut ist eine vom Staat geduldete Katastrophe.

Andererseits höre ich mit Erstaunen viel mehr Leute jammern und schimpfen, die gar nicht arm sein können, weil sie es sich offenbar leisten können, oft in teuren Restaurants zu speisen, anstatt selber was Preiswertes zu kochen. Man muß mittlerweile fast eine Woche vorher reservieren, um dort einen Platz zu ergattern, so voll sind diese Lokale auch an Werktagen, sofern sie noch genug Personal haben, das in der Gastronomie arbeiten möchte.

Was mich noch mehr erstaunt ist die Tatsache, dass diese Leute mehrmals im Jahr in den Urlaub fliegen können, möglichst weit weg, egal wie sehr sich Jahr für Jahr die Hotel- und Nebenkosten in den Urlaubsländern verteuern. Das sind keine Rucksacktouristen! Das sind jene, die sich täglich ein paar Cocktails und Luxushäppchen an der Beach-Bar genehmigen, Bedienstete sekkieren und nach einem mehrgängigen Menü am Abend im schicken Outfit in den Discotheken die Sau rauslassen. Dann posten sie massenweise Selfies in den Social Medias, damit jeder sieht, wo und was man sich gerade gönnt. Kein Fenstertag wird ausgelassen, um sich mit ihren Autos in kilometerlangen Blechlawinen über die Grenze Richtung Süden zu bewegen. Hauptsache weg hier!

Und diese Leute sollen arm sein?

Dafür wünscht man die Touristen in den Hochburgen der beliebten Urlaubdestinationen (Barcelona, Venedig, Mallorca u.a.) längst zum Teufel, weil sie in ungeahnten Massen daherkommen und die Magie dieser Orte untergraben. Große Schiffe, die an dieversen Küstenjuwelen anlegen möchten, werden bereits limitiert, weil tausende Passagiere die Städte überrennen, nichts kaufen oder konsumieren (am Schiff gibt es eh alles) und meist nur schmutzige Spuren hinterlassen.

Die Einheimischen aber können sich das Wohnen in diesen begehrten Urlaubsorten nicht mehr leisten, weil die Mieten ins Unermessliche gestiegen sind. Der Kauf einer kleinen Immobilie ist für sie nicht nur finanziell eine Utopie, weil betuchte Anleger alles zusammenkaufen, was verfügbar ist.

Zudem gibt es noch Bergtouristen, die oft ohne Erfahrung und erforderlicher Ausrüstung trotz unsicherer Wetterprognosen hohe Berge erklimmen wollen. Dann kommen immer wieder die Bergretter zum Einsatz, was hohe Kosten verursacht. Der K2 ist generell „der Gipfel“, der in kilometerlangen Schlangen ohne Wenn und Aber bezwungen werden will, immer weiter steil bergauf, vorbei an Menschen, die es nicht mehr geschafft haben, vorbei an liegen gebliebenem Müll.

Es ist nicht so, dass ich eine notorisch alte Grantlerin geworden wäre, die nichts übrig hat für Abenteurer und reiselustigen Menschen, auch wenn ich manchmal wirklich grantig werden kann. Das Thema Tourismus aber zeigt eine problematische Tendez, die nicht nur die Umwelt belastet, sondern auch Devisen ins Ausland bringt, die hierzulande dringend nötig wären.

Manchmal frage ich mich, ob die Leute überhaupt wissen, wie schön unser eigenes Land ist. Auf vielen meiner Konzerttourneeen von Graz bis ins Kleinwalsertal, vom Salzkammergut bis Litschau und von Neusiedl bis Reutte habe ich mit meiner Band fast jeden Winkel Österreichs kennengelernt. Dabei haben wir - wenn wir nicht gerade unter Zeitdruck standen - Autobahnrouten weitgehend vermieden, um möglichst viele landschaftliche Besonderheiten zu genießen. Glasklare Seen, tiefgrüne Wälder, traumhafte Landschaften, idyllische Bergdörfer und beeindruckende Berge. Dabei haben wir jeweils die regionale, köstliche Kulinarik und liebenswerte Menschen kennengelernt.

Österreich ist es wert, zu bleiben!

Ich will mich nicht mehr in ein Flugzeug quetschen lassen, wie in einen überfüllten Hühnerstall, stundenlange Verspätungen in Kauf nehmen und fast eine Woche lang auf meinen verschwundenen Koffer warten müssen, wie es mir schon passiert ist. Auch das Meer habe ich schon oft gesehen und wäre einmal durch eine unsichtbare Strömumg in sichtlich ruhigem Wasser beinahe ertrunken. Und ja, ich habe in meinem Leben auch schon feuchte Feste gefeiert, viel Unfug getrieben und Fehler gemacht, aber irgendwann fühlte ich mich geneigt, umzudenken.

Mittlerweile habe ich meine Urlaubsgwohnheiten meinem Alter angepasst. Jetzt schwimme ich lieber in ruhigen Gewässern, spaziere gemächlich auf ebenen Wegen, fahre gern mit dem Sessellift auf einen Berg, um mich dort im Liegestuhl zu sonnen und genieße gutes Essen gern mit Freunden. In Anbetracht diabolischer, machtgeiler Autokraten und weltweiter Kriegswirren bin ich trotz vereinzelter, regionaler Katastrophen heilfroh, in Österreich leben zu dürfen.

Ich wünsche euch einen schönen, entspannten Sommer!

Eure Steffi Werger

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Phantomschmerzen

Seit Längerem habe ich mich auf dieser Seite nicht gemeldet, weil mir einfach nicht zum Schreiben zumute war. Da ich aus persönlichen Gründen auf keinem Socialmedia – Kanal zu finden bin, sondern nur auf meiner Homepage, auf deren Gästeseite ich nur selten angeschrieben werde, dachte ich: Meine Geschichten interessieren ohnehin kaum jemanden.

Nun ja, da mag auch eine gewisse Gekränktheit mitschwingen, denn seit meinem freiwilligen- und gesundheitlich bedingten Abschied von der Bühne ist es trotz sehr gutem Radio-Airplay meiner Lieder still um mich geworden. Totenstill! Keine Interviews mehr, keine Anfragen, keine Termine, und keiner will mehr was von mir wissen, weder zu Weihnachten, zum Geburtstag noch zu sonstigen Themen. Vielleicht wollte man mich auch einfach nur in Ruhe lassen, was ja lieb gemeint sein mag, aber damit kann ich nicht umgehen, schließlich habe ich mich selbst während meiner jahrzehntelangen Karriere auch nie geschont. Aber so habe ich mich nun mal entschieden und so habe ich es jetzt auch, basta!

Ich konnte ja nicht ahnen, wie sehr mir die Bühne, meine gesamte Crew und mein wunderbares Publikum fehlen werden. Es sind Phantomschmerzen, die sich manchmal schlimmer anfühlen als alles Weh, was mir mein Rücken je angetan hat.

Das hat die gefürchtete Pensionsgrube, in der ich mich plötzlich befand, noch tiefer einsinken lassen. Dabei habe ich selbst einmal gesagt: „Gute Künstler gehen nicht in Pension, sie werden Kult.“ Aber auch das ist kein Trost für mich.

Meinen ehemaligen Musiker-, Bandkollegen und Freunden gegenüber wäre es jedoch ungerecht, würde ich sie in meine leise Wehleidigkeit mit einbeziehen, denn mit ihnen bin ich nach wie vor in herzlichem,- wenn auch seltener gewordenen Kontakt. Private Freundschaften hingegen werden zu beiden Seiten liebevoll gepflegt, sonst wären sie auch schon Geschichte. Letztere kann ich zwar an einer Hand abzählen, aber dafür sie sind unzerstörbar.

Ausgerechnet in jener Phase, als ich mich endlich aus meiner tiefschattigen Grube herauskämpfen wollte, passierte etwas Schreckliches: Mein geliebter Gitarrist „Gogo“ (Goran Mikulec), mit dem ich weit über dreißig Jahre lang wunderbare Konzerte spielen durfte, starb nach einer sehr schweren, extrem schmerzhaften Krankheit.

Er war nicht nur ein hervorragender Musiker, der von allen geschätzt und geliebt wurde, er war auch mein liebster Freund, loyal, klug und herzensgut, der immer für mich da war, und mit dem ich jederzeit über alles reden konnte. Für ihn war es eine Erlösung, für mich war sein Tod ein Schock, dessen Vorhersehbarkeit ich nicht wahrhaben wollte.

Drei Tage vor seinem Abgang haben wir noch telefoniert, nachdem ich ihn eine Woche lang nicht erreichen konnte.  Goran, der immer Zuversicht ausstrahlte und ein zäher Kämpfer war, zeigte plötzlich Resignation und Zerbrechlichkeit, das machte mir Angst. Dieser Verlust hat mich so getroffen, wie einst der Tod meiner Eltern. Er hat nicht nur seelische und körperliche Schmerzen in mir ausgelöst, sondern auch ein kreatives Blackout. Dass mir und Gorans gesamten Kollegen- und Freundeskreis eine würdige und respektvolle Verabschiedung seitens seiner Frau verwehrt wurde, konnte absolut niemand verstehen.

Auch das Wissen, dass der Tod zum Leben gehört, ist der Gedanke, die eigene Endlichkeit noch etwas hinauszuschieben, dürfte dazu beigetragen haben, mich langsam wieder aus meiner „Grube“ heraus zu kämpfen. Ich habe sogar wieder ein neues, erstaunlich positives Lied geschrieben, das meiner Meinung nach gut geworden ist. Jetzt, da meine Kreativität wieder zurückgekehrt ist, geht es mir wieder besser. Ich bin sicher, dass gefällt auch meinem Freund Gogo, wo immer er jetzt sein mag. Wahrscheinlich checkt er gerade eine neue Band – für später.

Bis bald,

eure Stefanie Werger

P.S. Über euren Eintrag ins Gästebuch würde ich mich freuen! Also bitte nicht schonen! 😘

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Fortuna ist nicht käuflich

Da war es wieder, das Lottofieber, das ganz Österreich durch einen vierfach- Lottojackpot erfasst hat. Reihenweise sind die Leute mit hoffnungsvoll glänzenden Augen an den Annahmestellen gestanden. Auch ich war dabei, obwohl ich mir geschworen habe, nie mehr als einen vertretbaren Betrag für solche Zwecke auszugeben, - auch nicht bei einem Jackpot. Aber ich Dumpfbacke habe trotzdem wieder hundert Euro in den Sand geschmissen.

Und wieder wurde in kollektiven Massen vom großen Gewinn geträumt, mit dem man sich so viele bislang unerreichbare Wünsche erfüllen könnte, - ein schickes Penthouse in Top Lage, eine Weltreise erster Klasse, ein fettes Konto und ein Anlagenberater. Und dann hätte man viele, viele „Freunde“.

Aber die Gewinnchance wird nicht höher, wenn ein paar Millionen Euro mehr im Pott liegen, auch nicht, wenn ein paar Millionen Tipps mehr gekauft werden. Diese Chance steht bei 1: mehreren Millionen. Eher wird man im Winter vom Blitz erschlagen.

Allein die Bezeichnung „Glücksspiel“ ist irreführend, denn wenn ich alle meine kaum nennenswerten Gewinne im Laufe der Jahrzehnte zusammenrechne, bleibt letztendlich eine erschreckende Minusbilanz. Ich wäre glücklich, wenn man mir das ganze verzockte Geld für alle meine Nieten auf meinem Konto gutschreiben könnte, aber solche Wunder gibt es nicht. Es wäre auch ungerecht den anderen Zockern gegenüber. Das Glück, das mit dem Glücksspiel gemeint ist, ist kein „Vogerl“, sondern ein fetter, rabenschwarzer Aasgeier, das vor allem auf labile Träumer abzielt, die Woche für Woche voller Erwartung ihr Erspartes verpulvern. 

  

„Glaub ans Glück!“ wird permanent in den Werbepausen gepredigt, und wieder werden einem zig Möglichkeiten vor die Nase gehalten, wie man sich ganz schnell reichrubbeln-, oder mit einem simplen Brieflos, Lotto-, Lotterie-, oder Wettschein „reicher als reich“ werden kann. Auch sonst gibt es genügend Möglichkeiten, sein Geld loszuwerden, sei es in Casinos, Wettbüros oder im Internet. 

Eine liebe Freundin schenkte mir zu meinem 50iger einen kleinen Ficus Benjamin, der mit fünfzig Brieflosen geschmückt war. Damaliger Wert: 500 Schillinge. Es war mir ein Vergnügen, diese in einer beschaulichen Stunde zu öffnen. Etwa vierzigmal  musste ich „Leider nicht“ lesen. Tatsächliche Ausbeute: 40 Schillinge. Das Gummibäumchen ist bald selbst aus purer Enttäuschung eingegangen.

Kennen Sie jemanden, der schon einmal einen Traumurlaub im Versandhauskatalog gewonnen hat, oder sonst was Großes bei irgendeinem Preisausschreiben? Wahrscheinlich kennen Sie mehr, die nur eingezahlt haben. Mir ist auch keine Firma bekannt, die aus Werbegründen so mir nichts dir nichts Autos, Traumreisen oder große Geldbeträge an wildfremde Personen verschenkt. 

Wenn ein Kleinverdiener zehn Euro für eine Niete ausgegeben hat, tut es ihm sicher auch weh. Wenn aber jemand mehr einsetzt, als er sich leisten kann, wird es gefährlich. Abgesehen von kleinen Preisausschreiben sollte man Glücksspielwerbung, insbesondere Casinowerbung rigoros verbieten. Es gäbe weniger zerrüttete Familien und menschliche Tragödien, an deren Ende manchmal sogar ein Suizid steht. Die Sucht kennt keine Grenzen.

Mit dem ersparten Werbebudget sollte man besser Gratis- Therapiestationen für Spielsüchtige einrichten und eindrucksvolle Werbung mit der Aussage, es besser bleiben zu lassen.

Der Mensch ist nun mal ein verspieltes Wesen, und daher werden wir das Glücksspiel generell wohl auch nicht abschaffen können. Das derzeit betrügerische Überangebot an Abzocke aber finde ich katastrophal. Kaum einer SMS oder E-Mail kann man noch trauen, kaum einen Anruf mit unbekannter Nummer. Meist werden ältere Menschen zu Opfern, die zum Beispiel dazu gebracht werden, ihren Schmuck von falschen Polizisten in „Sicherheit“ bringen lassen. 

Mit den Teuerungen der letzten Zeit erleben wir gerade eine sehr besorgte Bevölkerung. Da bleibt für viele Mitbürger kaum noch Geld für Rubbellose und Lottoscheine. 

Das Einzige, an das wir wirklich glauben sollten, ist die Fähigkeit, aus eigener Kraft an unserem Glück zu arbeiten, mit unseren Händen, -unseren geistigen Fähigkeiten, -unserer Willenskraft und mit unserem Herzen. Fortuna ist nicht käuflich, das wissen wir längst. Meine verstorbene Mutter wird schon recht gehabt haben, wenn sie mit einem verschmitzten Lächeln meinte:

„Wenn du nicht spielst, gewinnst du den Einsatz!“

Reich war die Mamma nie, aber sie war eine bescheidene, glückliche „Gewinnerin“.

Stefanie Werger

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Das Jahr, das bleiben wollte.

Man schrieb den 31. Dezember 2024

Das alte Jahr saß still und in schwachen Atemzügen über den Kontinenten. Seine zwölf Kinder lagen träge und verschlafen an seinem Herzen bis auf Dezember, das jüngste und lebendigste von allen und schon zweimal vergeblich eine Sternschnuppe fangen wollte.

Silvester, der schon den ganzen Tag vor dem Meeresspiegel stand um sich für seinen großen Auftritt fein zu machen, beobachtete das Alte Jahr schon seit geraumer Zeit.

"Warum bist du so still?" fragte er schließlich. 

"Mir ist eben nicht zum Jubeln zumute an meinem letzten Tag!" antwortete das Alte Jahr betrübt. "Du hast es gut! Kannst immer wieder kommen, die Jahre abzulösen, wirst gefeiert und genießt ein bedeutendes Ansehen, während ich bald Vergangenheit sein werde."

"Dafür bleibe ich ja auch nur einen einzigen Tag", schränkte Silvester ein und schluckte ein paar Knallbonbons."

"Eben! Du bist ein so winziger Teil der Zeit, dass du deinen jährlichen Festtag glanzvoll und in deinen schillerndsten Gewändern zelebrieren kannst. Danach kannst du dich ein ganzes Jahr ausruhen. Ich hingegen hatte auch den Alltag zu bewältigen und meine Kinder im Zaum zu halten. 366 Tage habe ich mich mit Kriegen, Erderwärmung, Krisen und Katastrophen herumgeschlagen, und jetzt kommst du wie ein aufgeblasener Gockel daher und lässt dich feiern!" Das Alte Jahr sah plötzlich noch älter aus.

"Ach!" Silvester unterbrach seine Toilette und ätzte:

"Was hast du denn schon großes bewältigt? Den Hunger, die Kriege, den Raubbau an der Natur? Du schaust doch auch nur zu, wenn die Menschen unseren schönen Planeten versauen. Tja - wenn ich mich da an andere Jahre erinnere, da hat sich noch was bewegt, da war was los! Dagegen warst du stinklangweilig. Schau dich doch an, wie du aussiehst: verhärmt, abgetakelt und unattraktiv!"

"Wie wagst du es, mit mir zu sprechen?", empörte sich 2024. "Für viele Menschen war ich ein gutes Jahr!"

"…ein gutes Jahr– spottete er! Wie mir die Sterne berichtet haben, hast du Einiges auf dem Kerbholz meine Liebe: Erdbeben, Sturmfluten, Kriege und eine Wirtschaftskrise. Berühmt wirst du damit jedenfalls nicht!" Und während er seinen pinkfarbenen Smoking anzog, fügte er noch boshaft hinzu:

"Die Menschen werden froh sein, wenn du endlich fort bist."

Das Alte Jahr fühlte sich gedemütigt und blickte anklagend zum Schicksal, welches sich gleichmütig die Fingernägel lackierte. Daraufhin liefen ihm vor Zorn und Empörung dicke Tränen über die Wolken, was den Cylonesen eine regionale Überschwemmung bescherte.

"Was du wieder anrichtest!" schnaufte Silvester. "Immer das gleiche Theater mit den Alten!" Im Innersten aber bereute er seine Provokation und er versuchte, die Lage etwas zu entschärfen. 

"Nun hör schon auf zu heulen, du weißt ja, was man so daherredet, wenn man gereizt wird, schließlich bin ich auch nur ein Datum. Immerhin bin ich auch gekommen, dir einen schönen Abgang zu bescheren."

Das Alte Jahr aber konnte sich nicht beruhigen:

"Du weißt doch genau, was für ein miserables Erbe ich anzutreten hatte. Die Menschen brauchen für alles einen Sündenbock und tun, als wäre ich ihr Schicksal. Dabei könnten sie selbst vieles ändern, aber die meisten beschweren sich nur. Und während sie an meinem letzten Abend Kaviar- und Lachsbrötchen in sich hineinstopfen, Champagner saufen und diese lächerlichen Knallkörper in die Luft schießen, werden sie mir die Schuld für alles geben. So einfach machen sie sich das!"

Ihre Kinder waren durch den Streit wach geworden und mischten sich ein:

"Das glaube ich nicht!" hauchte ein Frühlingskind mit heller Stimme, über mich haben sich viele Menschen gefreut.

Februar gähnte in seinem weißen Schneepyjama und spottete: "Gib nicht so an, Mai! Die paar Knospen und Blümchen erheben ein Jahr noch nicht in die Weltgeschichte."

"Lass doch den Liebesmonat in Ruhe!" ereiferte sich Juli. Nichts ist wichtiger als die Liebe!"

Plötzlich redeten alle wild durcheinander, und August wurde wegen einer boshaften Bemerkung seines Bruders April so heiß, dass selbst Dezember zu schwitzen begann. Schließlich hüllte November alles in dichten Nebel, um seine Geschwister zu beruhigen.

Eine ganze Weile noch versuchten die Kinder, sich an erfreuliche Ereignisse zu erinnern, um das Jahr zu trösten. So schnell aber, wie sie erwacht waren, ermüdeten sie wieder und versanken schließlich wieder in tiefen Schlaf. Nur Dezember spielte noch mit den niedergebrannten Adventkerzen und flüsterte:

"Du warst ein gutes Jahr - spitzenmäßig, echt cool!"

"Ist ja gut, Kleines!" seufzte das Alte Jahr gerührt." Und zu Silvester: 

"Was, wenn ich einfach nicht gehe?"

Eine schrille Stimme ertönte aufgeregt aus dem auf Hochglanz polierten "Großen Wagen":

"Das könnte dir wohl so passen!

Das Neue Jahr war plötzlich aufgetaucht. Jung, tadellos geschminkt und in taktloser Frische erschien es strahlend im günstigen Mondlicht. Es flehte Silvester förmlich an: 

"Bitte sag doch diesem alten Kalenderteil, es soll endlich verschwinden!"

"Halt deinen Mund und verschwinde selbst!" wies Silvester es zornig zurecht. Dein Empfang ist erst um Mitternacht!", und seufzend: "Superzicken und Mimosen! Um alles muss man sich kümmern!" Dann - etwas milder zum Alten Jahr:

"Es ist schließlich deine Bestimmung! Seit die Menschen die Zeitrechnung erfunden haben, haben alle Jahre ausnahmslos am 31. Dezember Punkt Null Uhr zu gehen, klar? Also pack deine Siebensachen und mach dir einen gemütlichen Lebensabend! Es gibt so schöne Planeten im Universum, wo du dich von deinen Strapazen erholen kannst, weit weg von den Problemen dieser Erde. Und jetzt sei bitte so gut und mach dich fertig, ich sollte schon längst in der Maske sein!"

Das Alte Jahr aber ließ nicht locker:

"Du willst mich nur abschieben auf einen dieser langweiligen Seniorentrabanten. Dabei wäre es klug, die Zeit anzuhalten und alles so zu belassen, wie es ist. Die Menschen würden ewig leben und der Zustand der Erde bliebe zumindest so, wie er jetzt noch ist." Und mit einem berechnenden Blick:"Auch du könntest für immer bleiben. Vielleicht könnten wir sogar Freunde werden!"

Silvester schüttelte energisch den Kopf und erwiderte nervös:

"Das wäre mein Ende! Die Menschen brauchen mich aber, verstehst du? Ich gebe ihnen Hoffnung. Der Stillstand der Zeit würde nicht nur die Erde erstarren lassen, sondern auch jeden Keim neuen Lebens. Gäbe es kein Morgen, wäre das Heute unerträglich. Sowas wirst du dir doch nicht wünschen, oder?"

Das Alte Jahr dachte noch eine Weile über Silvesters Worte nach und spürte, wie sich seine Energie verflüchtigte. Es hatte wohl keinen Sinn, sich der Zukunft in den Weg stellen, und so bemühte es sich, alles wegzuräumen, was dem Neuen Jahr hätte hinderlich sein können. Und schließlich buchte es einen langen Aufenthalt auf einem sonnigen Trabanten, der als absoluter Geheimtipp galt.

Kurz vor Mitternacht erschien Silvester strahlend und in prunkvoller Aufmachung, und bat 2024 mit einer tiefen Verneigung um einen Tanz. Das Alte Jahr lächelte geschmeichelt, auch wenn seine Füße schon schwer wurden, doch Silvester hielt es ganz fest in seinen Armen. Mit anerkennenden Blicken bemerkte er, dass die alte Dame im milden Mondlicht immer noch schön war. Sie bewegten sich harmonisch zu den vielfältigen Klängen und Rhythmen himmlischer Musik und die Sterne waren erstaunt, mit welch anmutiger Leichtigkeit die Beiden einen Wiener Walzer daraus zauberten.

Mit dem zwölften Glockenschlag ließen sie einander los.

© Stefanie Werger