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Wie schreibt man ein Lied?

Immer wieder werde ich bezüglich der Entstehung meiner Lieder gefragt: „Wie machen sie das?“ Vielleicht ist dadurch der unschöne Begriff „Liedermacher“ entstanden, den Kreative überhaupt nicht mögen. Daher habe ich für mich eine Bezeichnung erfunden, die mein Schaffen am besten auf den Punkt bringt. Ich schreibe Lieder und ich schreibe Bücher, daher: „LIEDERATIN“.

Man „macht“ Kompromisse, man „macht“ einen Plan, einen Ausflug oder einen Apfelstrudel, aber man „macht“ keine Lieder! Diese entstehen im Kopf, im Herzen und im Bauch musisch begabter Menschen, die sie in Form- und schließlich zu Papier bringen.

Das klingt so einfach, aber es setzt Fantasie, Gespür und viel Geduld voraus, vor allem, wenn man auf gute Texte mit Tiefgang wert legt, die eine „Herz - Schmerz - Reimkultur“ weitläufig umgehen. Auch eine Brise Poesie kann nicht schaden. Ein guter Text braucht eine homogene Rhythmik und sollte auch unvertont als Gedicht bestehen.

Die zweithäufigste Frage ist: „Wie fällt einem sowas ein?“ Manchmal antworte ich dann etwas genervt: „Man muss nachdenken!“

Am Anfang steht das Thema. Über was möchte ich schreiben? Wofür brenne ich, und was hat mich über längere Zeit so beschäftigt, dass daraus ein Lied entstehen soll? Idealerweise sollte man kein Liebeslied im Zustand höchster Verliebtheit schreiben und auch keinen kritischen Text, wenn man gerade in Rage ist. Da ist man selten objektiv. Gewisse Themen soll man liegen und reifen lassen, bis sie sich für ein Lied eignen. Mein innigstes Liebeslied „I wü di g´spian“ sollte ursprünglich eine messerscharfe Hardrocknummer werden und kein sinnlicher Seelenschmeichler, aber manchmal spielt die Muse herrlich verrückt.

Meine Lieder schrieb ich immer schon lieber mit einem weichen Tintenroller, als auf einer Tastatur. Erst nach gefühlt zwanzig Versionen werden sie in den Computer getippt, gespeichert und ausgedruckt. Zuvor gab es im Heft unzählige Kritzeleien und durchgestrichene Reimbeispiele. Ich habe schon Wochen und Monate-, einmal sogar drei Jahre lang gebraucht, bis ich einen Liedtext für die Öffentlichkeit freigegeben habe. Meine Langzeithits aber, die man häufig im Radio hört sind mir überraschend schnell gelungen. „Schwesterherz“ zum Beispiel, „Einsame Wölfe“, „Sommer“ oder „Flamenco Touristico“. Ein großer Vorteil aber ist, dass ich während des Schreibens meiner Texte auch schon die passende Melodie im Kopf habe.

Ich komponiere stets zum fertigen Text, nicht umgekehrt, wie das bei vielen Künstlern der Fall ist. Es gab nur eine Ausnahme: „Blumen im Sand“. Nachdem ich ein paar Nächte hintereinander gegen vier Uhr morgens aufwachte und eine wunderbare Melodie in meinem Kopf herumgeisterte, die ich am nächsten Tag wieder vergessen habe, stellte ich mir einen Kasettenrecorder ans Bett. Als ich in der folgenden Nacht wieder aufwachte und diese ansprechende Melodie hörte, drückte ich auf den Knopf und krächzte sie total verschlafen in den Recorder. Ich brauchte mehrere Wochen, bis ich endlich einen passenden Text dafür fand. Es wurde eines meiner schönsten Liebeslieder.

Einmal aber hatte ich - wenige Monate vor dem gebuchten Studiotermin für eine neue CD. - eine endlos lange Schreibblockade, die mich verzweifeln ließ. Die Erwartungen meiner Plattenfirma setzten mich zunehmend unter Druck. Jeden Tag igelte ich mich ein, nahm keine Telefonate mehr an, rauchte unzählige Zigaretten und saß hilflos an meinem Schreibtisch. Berge von vollgekritzelnden Papierfetzen landeten im Papierkorb, bis ich spät nachts ohne Ergebnis erschöpft und manchmal weinend ins Bett fiel. Jahre später erwähnte ich diesen Zustand in einem Lied mit folgender Zeile: „…denn meine Muse küsst sich selbst und legt sich schlafen“. („Die 9te“)

„Das war’s dann wohl mit meiner Karriere“, dachte ich, bis ich es eines Tages nicht mehr aushielt. Ich brezelte mich auf, fuhr abends in die Stadt und besuchte alle meine Stammlokale. Meine Leber wurde mit Wein und Hochprozentigem gepeinigt, bis ich dem Taxifahrer gerade noch meine Adresse lallen konnte, der mich vor die Haustür brachte, als die Sonne schon hochstand. Der Rest des Tages ist in meiner Biografie nicht mehr vorhanden.

Tags darauf ging ich in den Supermarkt einkaufen und kochte mir anschließend eine herrlich schmeckende Rindsuppe, die mich besser als jede Medizin „repariert“ hat. Noch am Küchentisch schrieb ich in knapp fünfzehn Minuten meinen bislang erfolgreichsten Hit: „Stoak wie a Felsen“.

Ab diesem Moment wurde ich von guten Ideen überflutet und nahm bald darauf mein erfolgreichstes Album „Intim“ auf, welches erstmals den Platinstatus erreichte.

Der Künstlerberuf galt zur Zeit meiner Entdeckung (1981) allgemein noch als ein „Hungerleiderberuf“, der meist von leeren Brieftaschen und Erfolglosigkeit geprägt war. Wer meine Fotos kennt, weiß jedoch, dass ich höchstens bei freiwilligen Diätkuren kurzfristig gehungert habe.

Der Erlös meiner Tantiemen beschert mir glücklicherweise ein gutes Ein- und Auskommen, was ich nicht nur den guten Rundfunkeinsätzen-, sondern auch einem treuen Publikum zu verdanken habe. Interpreten, die sich ihre Songs von anderen schreiben lassen, werden sich schwerer tun, damit einen guten Lebensstandard zu bestreiten, es sei denn, sie führen damit die Charts an oder schaffen gar einen Welthit.

Vielleicht erklärt sich das Geheimnis meines Erfolges darin, dass ich mich nie den „angesagten“ musikalischen Strömungen unterworfen habe. Bis heute schreibe, singe und sage ich, was ich denke.

Manchmal werde ich gefragt, welches meiner Lieder ich denn am liebsten hätte. Das aber kann ich beim besten Willen nur schwer beantworten, denn sie alle sind meine Kinder; die Zarten, die Frechen, die Lustigen, die Nachdenklichen, die Provokanten und die Traurigen. Ich liebe sie alle ausnahmslos, denn sie sind aus meinem Innersten entstanden, bis ich sie in die Freiheit entlassen habe, damit sie laufen lernen.

Eure

Stefanie Werger